Autor: Helmut Geifes
Archivar: Hans Bruns
Bilder: Hermann Scheulen
Samstag, die Versammlung des Radfahr Vereins war früher zu Ende als sonst. Was macht man also mit so einem angebrochenen Abend? Die Vereinssenioren hauten sich in eine gemütliche Kneipenecke und spielten Skat. Nebenbei beschwindelten sie sich noch mit vergangenen Erlebnissen, die für uns Junioren gänzlich uninteressant waren.
An der Theke knubbelten sich die Vereinsreste. Besonders einige Schützenableger führten das große Wort. Es wurde laut. Da hatte sich doch ein komischer Gast eingefunden, der offensichtlich einen lockeren Draht in der Mütze hatte. Das der kein Geld besaß, und die Bierreste aus den Gläsern soff, war ja noch hinzunehmen. Dies aber erregte unsere Aufmerksamkeit und unser Mitgefühl, weil wir ja wussten wie furchtbar Durst sein kann. Kurzum, trotz eines horrenden Bierpreises von 35 Pfenningen haben wir uns überwunden, den Kerl in unserer Mitte zu behalten in der Erwartung, dass der ja einmal abgefüllt sein müsste. Ich erinnere mich dass der Trunkenbold noch einen Handkarren zur Seite hatte, auf dem so einige Habseligkeiten deponiert waren. Ob der irgendwo ausgerissen war, oder sich noch immer auf der Flucht vor den Russen befand, war nicht rauszukriegen. Er soff mit glücklichem Gesicht unentwegt mit uns mit. Schließlich ging unsere Barschaft zuende und wir mussten erkennen, das wir an einen Profi geraten waren, der wohl im Landkreis Kempen alle Feste abklabasterte und sich anschließend in seinem Handwagen reanimierte.
Aber auf einmal wurde es noch lauter. Sogar die älteren Radsporttreibenden Skatbrüder schauten erstaunt auf und runzelten die Stirn über das Thekentheater der jungen Flegel. Was war passiert? Die Schützenbrüder F.I und H.S. waren uneins wer wohl den weitesten Heimweg in die heimatliche Bettgefilde habe. Die Meinungen dieser Weltanschauung gingen verabredungsgemäß weit auseinander. Nun ja, eine benebelte Lösung setzte sich jedenfalls durch die darin bestand, den Weg doch ganz neutral auszumessen. Reineweg zufällig hatte der schon im Baugewerbe tätige H. SCH. ein Bandmaß dabei. Juchheißa das war doch wohl was. Mit Kreide wurde ein stabiles Kreuz auf den Kneipenboden angebracht und so war der Ausgangspunkt gefunden. Aber schon fing das Theater wieder an, weil keine Einigung für das Ausmessen der Stufen gefunden wurde. Nach penibler Klärung ging es auf der Straße rechtsum und nach ein paar 20 m Längen erreichten wir den Einzugsbereich der Gaststätte Viehmann. Da alle wussten, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, bot sich fast zwangshaft die Notwendigkeit einer Stärkung an. Wir stärkten uns. Weiter ging es bis zum Bierausschank Madeyski (wo heute eine Eisdiele ist) wo uns schon wieder eine Schwäche überfiel und somit die nächste Erholung stattfand. Diese Kneipe, dass muss ich anführen, war insofern interessant, da man hier unter glücklichen Umständen für „Lullo“ saufen konnte. Das war möglich, weil der Wirt ein ehemalig Seeoffizier aus dem ersten Weltkrieg, vom versenkten Kreuzer EMDEN als einziger Offizier übrig blieb und demzufolge zu seinem Familiennamen Feukert den Zusatz Emden führen durfte. Um diesen Kommißkopp scharrten sich zwangsläufig eine Reihe gleichgesinnter Kameraden, die sich am runden Tisch bei Schummerbeleuchtung ihre Heldentaten vorsagten. Zu dieser Gemeinschaft gehörte auch einer meiner Chefs von der Hannen Brauerei R.D., der die Eigenschaft hatte, mit sogenannten Absatzeisen an den Schuhen militärisch exakt herum zu laufen. Den konnte man also schon von weitem hören dass er kömmet.
Hier war nun der erlauchte Stammtisch, den zu stören ein Frevel war. Trat nun eine Schar vom Durst geplagter Schützen ins Schummerlicht und war auch noch laut, erging Befehl vom R.D. „Schmiet die errut“ Wir mussten also hier nur Rabbatz machen und wurden unentgeldlich weiterempfohlen. Dieser Empfehlung folgten wir natürlich.
Das nächste Haus welches wir ansteuerten war die Bierzapferei Heinz Meister, heute Black Jack) Aber das Bier war warm und die Bedienung muss von auswärts gewesen sein, sodass sie kein Gespür hatte für Schützen die auf dem Kriegspfad waren. Die Dame war zur Tatzeit über 45 Jahre und somit kein Grund länger zu bleiben.
Der folgende Biertempel DAHLER (heute Siani) war da schon deutlich freundlicher. Der Wirt erlaubte uns die bisher ausgemessene Meterzahl deutlich auf den Kneipenboden anzubringen. Es hatte vorher unbeabsichtigt einige Zahlendreher gegeben und das Misstrauen rumorte. Man weis ja aus der Politik: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Der Wirt hatte volles Verständnis für unsere Genauigkeit. Er ging soweit, uns die Adresse vom Eichamt geben zu wollen weil er berufsbedingt auch nicht den Eichstrichen auf seinen Biergläsern traute. Jedenfalls zogen wir gestärkt in unserer Genauigkeit in die nächste „Kaschemm“ die dann unser zweites Vereinsheim und Trainingslokal Schiffer war.
Diesmal wurde die bisher ermittelte Meterzahl aufs Straßenpflaster gemalt. Ein zufällig des Weges kommender und mitfühlender Mensch konnten wir überreden auf die Zahl aufzupassen.
Da wir hier bestens beleumundet waren, meinten wir es uns leisten zu können etwas lauter zu werden. Aber irgendwie hatten wir das Gefühl, hier gibt es kein Freibier und die Wirtin Berta will uns auf elegante Weise weiterempfehlen. Sie wies deutlich auf die angenehmen Lokalitäten ihrer Mitbewerber hin. Da wir es uns nicht leisten konnten (wg. des Trainings) auf Zwangsbewirtung zu bestehen, zogen wir mit den besten Wünschen und gestärkt durch einen doch gespendeten Schnaps weiter.
Rechterhand gab und gibt es die Gaststätte Grootens. Die seinerzeitige Wirtin Marianne muss uns wohl auch schon angesehen haben dass mit uns kein rechtes Geschäft mehr zu machen ist. Ob wir wieder zu laut waren, oder uns die Kreditunwürdigkeit anzusehen war, hinderte es uns aber nicht, wieder Fehler in der Buchhaltung zu entdecken. Das Kontrollblatt wurde verworfen. Marianne gestattete es uns, die notwendigen Klärungsgespräche in Anlehnung an den Thekenbereich zu führen in der Hoffnung uns schleunigst loszuwerden.
Auf dem Weg zum nächsten Stärkungsort wurde der Schriftführer auf das schärfste beobachtet. Es kam bald soweit, ein zweites Bandmaß zu besorgen weil mittlerweile das bisherige in Frage gestellt wurde. Ein Vorschlag, doch einen Zollstock einzusetzen musste verworfen werden, weil befürchtet wurde, dass durch das dauernde Bücken es zu Schluck- und Magenproblemen kommen könne. Mittlerweile war als letzte uns bekannte Trinkstation das Etablissement KRÜCKEN erreicht. Wir wurden eingelassen und mussten nach Benutzung der Pissrinne feststellen, dass der Allohol die nüchternsten Gedanken produziert. Keiner wollte sich zunächst eingestehen, dass doch der ganze (fröhliche) Brassel nicht nötig gewesen wäre.
Hätte man an dem Punkt, wo sich die Wege in die warme Betten teilten, diesen als Ausgangspunkt nehmen können. Also wurde das Bandmaß eingerollt und das Wort Zollstock mit Verachtung gestraft.
Der Weg bis zum „richtigen“ Punkt wurde singend zurückgelegt. In voller Einigkeit wurde das Bandmaß wieder hervor geholt um nun genau die entscheidenden Meter zu erfassen.
Gott sei Dank war es vom Punkt der Erkenntnis nicht mehr weit, sodass der endgültigen Entscheidung zugestrebt werden konnte. Die beiden Elternteile waren von Herzen froh, ihre Sprösslinge wieder (wenn auch besoffen) im Hause zu haben. Sie gestatteten uns sogar aber noch, die jeweiligen Bettmitten als Vollendung unserer Aktion zu markieren.
Da aber auch nicht nur die Wett-Kameraden der Ruhe bedurften, sondern auch die restlichen Akteure das Bedürfnis nach Regeneration verspürten, einigten sich alle darauf, das es bis auf den Zentimeter ein echtes unentschieden gegeben hat.
Großartig diesen „Sieg“ zu feiern war nicht möglich, weil beide Elternpaare glaubwürdig versicherten in beiden Häusern sei zufällig kein Tropfen Allohol vorhanden. Da zu dieser Zeit den Eltern noch (fast) alles geglaubt wurde, ging somit dieses Schützenerlebnis zu Ende.
Im Nachhinein taucht noch die eine oder andere Episode auf, aber alles kann man ja nicht anbringen (und glauben) Aber die Tatsache der Vermessung ist durch das Bild belegt und somit Teil der Historie unseres Schützenzuges TREUE KAMERADEN.
Die aus dem Radfahrverein Vorwärts entstandenen Schützenzüge pflegen auch heute noch die Tradition, während der Parade am Schützenfestmontag gemeinsam zu marschieren.
Oktober 2013